Werte sind der Kompass unseres Alltags. Sie entscheiden mit, wie wir reden, arbeiten, kaufen, streiten und versöhnen. Für Christen ist klar, es gibt zeitlose Werte, die Gott selbst schenkt – Liebe, Wahrheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Treue und Verantwortung für die Schöpfung. Diese Werte finden wir in der Bibel und im Leben Jesu. Sie tragen in guten wie in schweren Zeiten. Sie sind wie ein Leuchtturm im Sturm oder ein fester Halt in ungewissen Zeiten.
Daneben gibt es menschengemachte Werte, die sich verändern. Was als „anständig“, „modern“ oder „erfolgreich“ gilt. Wie wir Familie, Arbeit oder Wohlstand deuten. Solche Werte sind nicht automatisch schlecht – sie können dem Guten dienen. Aber sie brauchen Prüfung. Denn solche menschengemachte Werte können zur Last werden. Dienen sie dem Leben? Achten sie die Würde? Fördern sie Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung? Oder nähren sie Angst, Egoismus und Hetze? Entsprechen Werte, die einen ansprechen und vielleicht ein gutes Gefühl geben, den Werten Gottes?
Als Christen sind wir verpflichtet, zu unterscheiden und Korrekturen vorzunehmen. Bleibendes festhalten, Veränderliches prüfen, Neues dankbar annehmen, wenn es den biblischen Kern stärkt. Diese innere Haltung – gebetet, bedacht, gemeinschaftlich beraten – bewahrt uns vor blinder Anpassung und starrer Abwehr. Sie öffnet den Blick für das, was vor Gott wirklich zählt: Menschenwürde, Nächstenliebe und verantwortlicher Umgang mit Gottes Welt.
Warum über Werte sprechen?
Werte ändern sich selten über Nacht. Sie wachsen, reiben sich an Widerstand, suchen Orte, an denen sie gelebt werden – und werden irgendwann zu Regeln, Recht und Gesetz. Das ist in der Geschichte Deutschlands gut zu sehen. Ich habe drei Beispiele ausgewählt, um zu zeigen, wie ein Wandel geschieht und welche Auswirkungen und Widerstände er hatte. Danach zeige ich die Verbindung zu den Erfahrungen mit christlichen Leitwerten und einer Haltung, die heute Orientierung gibt.
Beispiel 1 – Gewissensfreiheit (15.–17. Jahrhundert)
Humanisten und Reformatoren stellten um 1500–1520 das Gewissen des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Für uns ist Martin Luther („Hier stehe ich, ich kann nicht anders“) eine wichtige Person dieser Zeit gewesen. „Zurück zu den Quellen“, die Bibel selbst lesen, selbst Verantwortung vor Gott übernehmen.
Der Buchdruck war für damalige Zeiten ähnlich revolutionär wie das Internet oder die Verbreitung der K.I.-Technologie in der heutigen Zeit. Für damalige Verhältnisse konnten mit dem Buchdruck Ideen schnell und günstig verbreitet werden. Schulen und Städte wurden Lernorte. Zwischen 1555 (Augsburger Religionsfrieden) und 1648 (Westfälischer Friede) setzte sich rechtlich durch, dass verschiedene Bekenntnisse bestehen dürfen.
Aber das war ein schmerzhafter Weg für die Menschen damals. Bauernkriege, der 30jährige Krieg, die Verwüstung Mitteleuropas. Kirchliche und weltliche Obrigkeiten fürchteten Chaos und Spaltung. Um das zu verhindern, trugen sie erheblich dazu bei, dass es zu Verfolgungen und Kriegen kam. Gut gemeint, aber Schlimmes verursacht.
Langfristig entstand Schutz für das Gewissen, mehr Bildung für viele, eine Kultur des Streitens ohne Vernichtung des ideologischen Gegners. So entstand die Wurzel moderner Religions- und Meinungsfreiheit, die dann später dem Individuum möglich wurde.
Beispiel 2 – Gleichheit vor dem Gesetz (spätes 18.–19. Jahrhundert)
Die Aufklärung und Französische Revolution stellten aufgrund eskalierender Ausbeutung der Menschen die Privilegien der Bessergestellten „durch Geburt“ und Profiteure infrage. Ab 1807 starteten in deutschen Staaten Reformen. Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit und moderne Verwaltung hielten Einzug.
Presse, Vereine, Universitäten und die erste deutsche Nationalversammlung (1848/49) machten Rechtsgleichheit zu einem öffentlichen Thema. Alte Eliten verteidigten Ständeordnung und Tradition und es floss wieder einmal viel Blut, um das aufzuhalten, was sich nicht aufhalten ließ. Schritt für Schritt setzte sich das Leistungsprinzip statt Herkunft- oder Geburtsprinzip durch. Mit Reichsgründung (1871) und Kodifikationen (z.B. BGB 1900) wurde die Gleichheit vor dem Gesetz zum festen Maßstab – reale Ungleichheiten blieben, aber das Recht wechselte die Seite. Es sollte niemand mehr über dem Gesetz stehen.
Beispiel 3 – soziale Rechte und Schutz der Arbeit (19.–frühes 20. Jahrhundert)
Die Industrialisierung vernichtete viele traditionelle Arbeitsplätze und brachte harte Fabrikarbeit, Risiken und Armut. Arbeitervereine, Gewerkschaften und Sozialreformer forderten Schutz, Mitbestimmung und Absicherung, weil die Ausbeutung der Menschen wieder einmal in der Geschichte der Menschen eskalierte.
Zeitungen, Bildungsvereine und erste Parlamente übersetzten Moral in Regeln: Arbeitszeit, Unfall- und Krankenversicherung und später sogar eine Rente.
Doch Unternehmer und Behörden warnten vor „Leistungsfeindlichkeit“, hohen Kosten, drohten mit Arbeitsplatzverlagerungen und bekämpften Organisationen der Arbeiter mit allen Mitteln. Ab den 1880er Jahren entstanden Sozialversicherungen, die von Bismarck eingeführt wurden, um dem entstehenden politischen Gegner, die Argumente zu nehmen. Der politische Gegner sah in der Monarchie und in der Maßlosigkeit das Übel der sozialen Ungerechtigkeit. Der Gedanke, dass Würde auch materielle Sicherheit braucht, wurde politischer Standard. Dadurch wurden Gesellschaft und Wirtschaft stabilisiert.
Was lernen wir daraus?
Es gibt viele weitere Beispiele innerhalb Deutschlands, Europas und auf der Welt, die eine gesetzmäßigkeit aufzeigen.
Werte starten als Idee, finden Träger (Bewegungen, Initiativen, Vereine, Gemeinden, Netzwerke) und werden institutionell – als Recht, Schule und Lehre, Versicherung und Verlässlichkeit. Wir können bei dem Blick in die Geschichte auch immer einen erbitterten Widerstand der Bestandswahrer erkennen. Z.B. Ordnung gegen Gewissen, Tradition gegen Gleichheit, Vertragsfreiheit gegen Schutz. Durchgesetzt hat sich letztlich immer, was Probleme besser löst. Wenn Werte erst Recht werden, halten sie – und prägen auch das spätere Miteinander.
Für uns ist es wichtig zu verstehen und erkennen, welcher Kampf sich wirklich lohnt.
Die Bibel erzählt vom Menschen als Ebenbild Gottes (Genesis 1) – diese Würde ist nicht verdient, sondern geschenkt. Von Gott persönlich. Daraus abgeleitet sind „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Grundgesetz Artikel 1) oder auch die sogenannten „Menschenrechte“. Aber die Bibel geht noch weiter. Jesus ruft in Markus 12, 31 zur Nächstenliebe. Er warnt vor der Fixierung aufs Materielle („Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ in Matthäus 6, 24 oder „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden“, Matthäus 6, 19–21) und erinnert an „Das Leben besteht nicht aus Überfluss“ (Lukas 12, 15).
In der jungen Kirche teilten Menschen ihren Besitz miteinander, „damit keiner Mangel hat“ (Apostelgeschichte 2).
Wir können an vielen Stellen Gewissensschutz, Rechtsgleichheit und soziale Absicherung als weltlich übersetzte Entsprechungen von Würde, Gerechtigkeit, Nächstenliebe identifizieren. Sie führen – tastend – zu dem Bild zurück, das die Schöpfung zeichnet: Gott, Mensch und Natur im Einklang. So wie es zu Beginn der Schöpfung mal von Gott gedacht war.
Postmaterielle Trends sind heute wichtig
„Postmateriell“ ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff, der von Ronald Inglehart geprägt wurde. Er beschreibt, dass Menschen, wenn ihre Grundbedürfnisse gedeckt sind, stärker die Werte, wie Selbstbestimmung, Teilhabe, Umweltschutz, Gleichberechtigung betonen – also Dinge, die nicht auf „Überleben“ oder „materiellen Besitz“ zielen, sondern auf Sinn, Gemeinschaft, Verantwortung.
Postmateriell heißt nicht „gegen Wohlstand“ sein. Doch Würde, Sinn, Gemeinschaft und Natur sind nicht Verzierungen oder „nice to have“, sondern Ziele. Klimaschutz, Vielfalt, faire Arbeit, digitale Freiheitsrechte – all das schützt Lebensgrundlagen und Beziehungen. Gesellschaften, die das ernst nehmen, werden widerstandsfähiger, weniger Angst vor dem Morgen, mehr Vertrauen, kreativere Lösungen und Wohlstand kann entstehen.
Aus christlicher Sicht bedeutet postmateriell: Wir wissen, dass Essen, Wohnung und Arbeit wichtig sind – und nehmen sie als Geschenk Gottes dankbar an. Aber wir sehen das Wichtigste nicht im Besitz, sondern in Liebe, Gerechtigkeit und Verantwortung füreinander. Damit werden Schätze im Himmel gesammelt. Das vollkommene Reich Gottes entsteht nicht hier auf Erden durch unsere Anstrengungen oder bei der Durchsetzung von vermeintlichen christlichen Werten in bereits entkirchlichten Gesellschaften. Das Reich Gottes ist ein Geschenk Gottes an jeden, der sich auf eine Beziehung mit Gott einlässt. Unser Leben bleibt deshalb auf etwas Größeres ausgerichtet – und genau das gibt uns Freiheit, nicht am Materiellen oder an irdischen Wertvorstellungen zu hängen.
Öffentliche Debatten werden heute oft über das Internet bzw. in den sozialen Netzwerken von lauten Kampagnen getrieben, die schnelle Erfolge versprechen. Heute so, morgen anders. Wer Politik, Medien oder Netzwerke nur am nächsten Stimmungsbild ausrichtet, verbraucht Werte, statt sie zu pflegen. Historisch gesehen tragen nicht die lautesten Parolen, sondern die ruhigen, gut begründeten Schritte, die Menschen mitnehmen und Institutionen bauen. Kurzfristige Taktik ersetzt keine Richtung, sondern verzögern die eigene Weiterentwicklung und verursachen hohe Kosten.
Wenn wir Trends und Werte beurteilen, lohnt der Weg in die Tiefe. Das heißt, prüfen ob postmateriell (Würde vor Gewinn), ganzheitlich (Mensch und Natur zusammen denken) und Gott-orientiert (Herz, Gewissen, Verantwortung).
Lassen wir uns nicht von Emotionen und Hetze treiben. Christlich leben heißt prüfen, was trägt. Geduldig bleiben und mutig handeln. Wer so unterwegs ist, wird zum leisen, aber starken Zeichen der Hoffnung: für ein Leben, das Menschen achtet, die Schöpfung bewahrt und dem Guten Raum gibt. Und das gehört mit zum Auftrag eines Christen.
Ihr
Munir Hanna
für das Evangeliumsnetz e.V.
Der Evangeliumsnetz e.V. ist ein eigenständiger und somit von jeglicher Verbands- oder Kirchenpolitik unabhängiger Verein mit Sitz in Berlin.
Der Verein bietet allen Menschen, nahe- oder fernstehend, verschiedene Informationen über den christlichen Glauben und fördert die Verbreitung christlicher Werte.
Veröffentlicht auf www.evangelium.de, www.auftanken.de, LinkedIn und Facebook
Ergänzend ist folgendes erschienen:
